Leistungsverweigerung der Krankenkassen in der häuslichen Krankenpflege – grundsätzlich keine Pflege ohne Zustimmung der Angehörigen!

Ein Gastbeitrag von Rechtsanwältin Saskia Hennig mit dem Thema Leistungsverweigerung der Krankenkassen:

Das Wichtigste vorab:

  • Krankenkassen müssen bei Behandlungspflege umfassend für die häusliche Pflege einstehen
  • der Ausnahmetatbestand des § 37 Abs. 3 SGB V ist eng auszulegen
  • grundsätzlich müssen sowohl der Pflegende als auch der Gepflegte mit einer Pflege durch einen Angehörigen einverstanden sein

Ablehnungspraxis

Die Ablehnungspraxis vieler Krankenkassen im Bereich der häuslichen Pflege ist rechtswidrig. So entscheid bereits das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 30.03.2020 – B 3 KR 23/99 R. Die Klägerin obsiegte mit ihrem Begehren ihren schwer pflegebedürftigen Vater der Pflegestufe II durch eine häusliche und von der Krankenkasse zu zahlenden Krankenpflege betreuen zu lassen.
Dieses Begehren hatte die Krankenkasse abgelehnt mit der Begründung, der Einsatz von geschultem Pflegepersonal sei nicht erforderlich. Es handele sich bei den ärztlich verordneten Maßnahmen um solche der Grundpflege, welche die Tochter selbst übernehmen müsse.
Bei den angeordneten Maßnahmen handelt es sich etwa um Blutdruckmessung, die Gabe von Insulin und die Salbeneinreibungen im Intimbereich.
Der Anspruch auf Gewährung der Behandlungspflege als Sachleistung der gesetzlichen Krankenkasse ergibt sich aus § 37 Abs. 2 S. 1 SGB V. Darin heißt es wie folgt:

[2] 1Versicherte erhalten in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist.

Anspruch

Dabei ist der Anspruch nicht bereits deshalb ausgeschlossen, dass der Pflegebedürftige zugleich Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung erhält. Denn nach § 13 Abs. 2 SGB XI bleiben die Leistungen der häuslichen Krankenpflege beim Bezug von Leistungen der Pflegeversicherung unberührt.
Doch was ist eine „Behandlungspflege“ im Sinne des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB V? Zahlreiche Krankenkassen differenzieren danach, ob die eine nicht vom Arzt zu erbringende Maßnahme der Krankenbehandlung ausschließlich von fachlich geschulten Pflegekräften oder auch von Laien erbracht werden kann. Das ist jedoch nicht richtig, denn nach geltendem Recht ist Behandlungspflege in jeder Form den Leistungen der Krankenversicherung zuzuordnen. Nur ausnahmsweise, beim notwendigen Zusammentreffen mit einer Maßnahme der Grundpflege ist sie auch beim Pflegebedarf in der Pflegeversicherung zu berücksichtigen.
Auch ist die Krankenkasse in Fällen, in denen sie eine vom Arzt verordnete Maßnahme der Behandlungspflege aus medizinischen Gründen nicht für erforderlich hält – etwa, weil sie die Durchführung der Maßnahmen durch den Versicherten selbst für zumutbar oder möglich hält – verpflichtet, aufgrund einer fehlenden Sachkompetenz in medizinischen Fragen eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes einzuholen nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V.
In § 37 Abs. 3 SGB V ist eine Ausnahmevorschrift geregelt. Danach besteht der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann = Vorrang der Eigenhilfe vor der Inanspruchnahme von Hilfe durch die Solidargemeinschaft. Dabei ist unter Haushalt nach dem allgemeinen Sprachgebrauch die häusliche, wohnungsmäßige, familienhafte Wirtschaftsführung zu verstehen.
Diese Ausnahmevorschrift ist eng auszulegen, wobei der Wortlaut der Norm die Grenze darstellt. Vorschriften des SGB sind im Zweifel dahingehend auszulegen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden.

Auslegung

Die Auslegung geht sogar soweit, dass der Leistungsausschluss nicht schon dann greift, wenn die Hilfe durch Haushaltsangehörige geleistet werden könnte. Vielmehr muss auch tatsächlich Hilfe geleistet werden. Dies setzt voraus, dass sowohl der Pflegende bereit ist sich von einem Angehörigen pflegen zu lassen, als auch der pflegende Angehörige mit der Durchführung der Pflege einverstanden ist (aktive und passive Pflegebereitschaft). Ein Einverständnis auf beiden Seiten ist also unverzichtbar. Daher gibt es keine Pflegeverpflichtung ohne entsprechende Zustimmung. Ausnahmen hiervon werden nur bei Nachweis von missbräuchlichem Verhalten getätigt.
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass es sich lohnt, gegen die Krankenkasse vorzugehen und für sein Recht auf bezahlte Pflege zu kämpfen.

Rechtsanwältin Saskia Hennig

Rechtsanwältin Saskia Hennig

Unsere Gastauthorin ist Rechtsanwältin Saskia Hennig.
Zu finden ist Sie unter ra-saskia-hennig.de